Überwindung der Strukturprobleme der Gesundheitswirtschaft Inhalt Suchen 9 z 01 01 Hilfe Treffer 9 z 01 Perspektiven der Vernetzung des Krankenhauses mit Arztpraxen, Rehabilitationskliniken und Krankenkassen Dezember 2000 Siegfried Eichhorn, Barbara Schmidt-Rettig inhaltsüberblick Um die Strukturschwäche unseres Gesundheitssystems zu überwinden, orientiert man sich neuerdings an den Strategien und Instrumenten der horizontalen und vertikalen Vernetzung der unterschiedlichen Leistungsanbieter. Der Beitrag zeigt Stärken und Schwächen besonders des Managed-Care-Konzepts auf. Dabei werden auch die in den USA gemachten Erfahrungen herangezogen. Das Kapitel mündet in 14 Thesen, die die Möglichkeiten und Grenzen von Managed-Care-Strategien auch im bundesdeutschen Gesundheitssystem beschreiben. 9 z 01 | 01 Überwindung der Strukturprobleme der Gesundheitswirtschaft durch Vernetzungsstrategien Will man unter den gegenwärtig bestehenden und den künftig zu erwartenden finanziellen Restriktionen die Leistungsfähigkeit der gesundheitlichen Versorgung dauerhaft erhalten und entsprechend dem medizinischen Fortschritt verbessern, dann muss für die Gesundheitspolitik neben der notwendigen Durchforstung des Leistungskatalogs der Gesetzlichen Krankenversicherung GKV in den nächsten Jahren „Systemrevolution“, aber gleichzeitig auch „Systemkonformität“ unabdingbare Maxime bleiben. Gefragt ist also eine neue Architektur des Gesundheitssystems, die auf der Höhe der Zeit ist, die bisherigen Schwachstellen in Struktur und Organisation der medizinischen Versorgung eliminiert und damit die Wirtschaftlichkeitsreserven mobilisiert, die erforderlich sind, 1 Die Maxime: „Systemrevolution“ und „Systemkonformität“ 9 z 01 01 Überwindung der Strukturprobleme der Gesundheitswirtschaft Inhalt Nicht Privatisierung und Rationierung, sondern Rationalisierung Überwindung der beiden Schwachstellen: Vertikale Versäulung Fehlende Kooperation Suchen Treffer Hilfe um das Gesundheitssystem dauerhaft finanzierbar zu machen. Es geht um eine neue strukturelle, geistige und soziale Verfassung des Gesundheitssystems als Voraussetzung dafür, das Krankheitsrisiko der Bevölkerung auch weiterhin solidarisch abzusichern. Das aber bedeutet: Statt Privatisierung von Gesundheitsrisiken und Rationierung von Gesundheitsleistungen um jeden Preis muss die Rationalisierung der Erstellung von Gesundheitsleistungen erfolgen, und zwar durchaus auch unter Einsatz geeigneter, sozialverträglicher marktwirtschaftlicher Elemente. Voraussetzung dafür ist die Überwindung der gravierenden Schwachstellen der bundesdeutschen Gesundheitswirtschaft: z Die traditionell gewachsene, gesetzlich verankerte vertikale Versäulung der Gesundheitssektoren mit Nachteilen für die Effektivität und Effizienz unserer Gesundheitswirtschaft und damit für Patienten, Gesundheitspersonal und die gesamtwirtschaftliche finanzielle Belastung. z Die Individualisierung, Isolierung und fehlende Kooperationsbereitschaft der einzelnen Medizinbetriebe, sowohl der Arztpraxen als auch der Krankenhäuser. Die Mehrzahl der theoretischen und praktischen Ansätze, die Strukturschwäche unseres Gesundheitssystems zu überwinden und gleichzeitig vorhandene Rationalisierungspotenziale aufzudecken sowie die damit verbundenen Wirtschaftlichkeitsreserven auszuschöpfen, orientieren sich neuerdings an den Strategien und Instrumenten der horizontalen und vertikalen Vernetzung der unterschiedlichen Leistungsanbieter. Die Zukunft der Strukturpolitik unserer Gesundheitswirtschaft liegt also in der 2 Managed-Care-Philosophie Inhalt Suchen 9 z 01 02 Hilfe Treffer Dezember 2000 Förderung der horizontalen Vernetzung gleichartiger Medizinbetriebe (Krankenhäuser: Krankenhausketten, Arztpraxen: Praxisnetze) ebenso wie in der vertikalen Vernetzung der unterschiedlichen Gesundheitssektoren im Bereich der ambulanten und der stationären Krankenhausversorgung, der Rehabilitation, der ambulanten und stationären Prävention. Netzwerke sichern durch medizinische Arbeitsteilung und Spezialisierung die ökonomische Grundlage für ein leistungsfähiges Gesundheitssystem und damit mittelfristig die Fähigkeit zur Innovation und Umsetzung des medizinischen Fortschritts. Ansatzpunkte für ein derartiges Vernetzungskonzept kann das in den USA entwickelte Konzept von Managed Care bieten. 9 z 01 | 02 Managed-Care-Philosophie Die Mehrzahl der theoretischen Überlegungen und praktischen Ansätze, die Rationalisierungspotenziale unseres Gesundheitssystems aufzudecken und die damit verbundenen Wirtschaftlichkeitsreserven auszuschöpfen, orientiert sich an den Strategien und Instrumenten von Managed Care. Das ist auch der Grund dafür, dass Managed Care zunehmend Bedeutung in der gesundheitspolitischen Diskussion gefunden hat. Das Managed-Care-Konzept ist in den USA entwickelt worden und hat dort inzwischen die Gesundheits- und Versicherungswirtschaft entscheidend verändert. Aus dem Gesundheitswesen der Vergangenheit ist eine Gesundheitsindustrie geworden, die ständig darum bemüht ist, durch die Mobilisierung von Wirtschaftlichkeitsreserven die Effizienz der Versorgung zu verbessern und höhere Renditen zu erzielen. Der Gesundheitsmarkt verspricht Gewinnerzielungsmöglichkeiten und Wachstumschancen. 3 Große Bedeutung von Managed Care Gesundheitsindustrie mit Gewinn und Wachstum in den USA 9 z 01 02 Managed-Care-Philosophie Inhalt Ziel: Kostendämpfung Änderung der Zielvorgabe: Qualitätsstandards Managed Care als Steuerungskonzept Suchen Treffer Hilfe Ausgehend von der Knappheit der für die Gesundheitswirtschaft insgesamt zur Verfügung stehenden Ressourcen war in den USA Kostendämpfung die primäre Zielsetzung von Managed Care. Nach einer Definition des „Institute of Medicine“ umfasst Managed Care „Techniken, die Einkäufer von Gesundheitsleistungen einsetzen, um die Kosten der Gesundheitswirtschaft unter Kontrolle zu halten“. Um dies zu erreichen, soll bei den Entscheidungen über die Versorgung der Patienten von Fall zu Fall beurteilt werden, ob eine Leistung erbracht werden soll, und wenn ja, welches die kostengünstigste Form ist. Im Laufe der Zeit hat der verstärkte Wettbewerbsdruck dazu geführt, dass die Zielvorgabe des ManagedCare-Konzepts „Kostendämpfung um jeden Preis“ dahingehend abgeschwächt wurde, dass man sich auf die Vermeidung ineffizienter oder medizinisch nicht gerechtfertigter Versorgungsleistungen konzentriert hat. Parallel dazu wurde als Folge des immer stärker werdenden Qualitätswettbewerbs die Zielvorgabe „Kostenminimierung“ durch das Ziel „Wahrung eines normativ vorgegebenen Qualitätsstandards“ ergänzt. z Heute ist Managed Care ein Konzept zur Steuerung der Gesundheitswirtschaft: Die Patienten sollen ihrem Persönlichkeits- und Krankheitsartenmuster entsprechend auf der adäquaten Versorgungsebene (Allgemeinarzt, ambulante pflegerische Versorgung) mit den zur Erreichung des Behandlungsziels notwendigen Leistungen versorgt werden, und zwar unter strengster Beachtung der Prinzipien von Wirtschaftlichkeit und Qualität bei der Leistungserstellung in den Medizinbetrieben. Unter Einsatz spezifischer Organisationsformen, Finanzierungsmodalitäten und Steuerungsinstrumenten bieten Managed-Care4 Managed-Care-Strategien und -Instrumente für die Steuerung der Patientenversorgung Inhalt Suchen 9 z 01 03 Hilfe Treffer Dezember 2000 Organisationen (MCO) eine kostengünstige Versorgung der Patienten auf hohem Qualitätsniveau an. Von daher gesehen steht Managed Care für ein Konzept, bei dem der Versicherungsträger sowohl die Patienten bei der Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen als auch die Leistungserbringer bei der Erstellung der jeweiligen Gesundheitsleistungen in Richtung auf Erfüllung der Managed-Care-Ziele steuert. Managed-Care-Strategien und -Instrumente für die kostengünstige und qualitätssichernde Steuerung der Patientenversorgung 9 z 01 | 03 Das Hauptcharakteristikum des Managed-Care-Konzepts besteht darin, dass die MCO sich im Gegensatz zu unseren Krankenkassen nicht auf die Position des zahlenden Dritten beschränken. Ihre Aufgabe als Versicherer ist vielmehr die Steuerung der Gesundheitsversorgung der bei ihr Versicherten entsprechend den Managed-Care-Zielen. Nicht mehr der einzelne Arzt oder das einzelne Krankenhaus als Anbieter von Versorgungsleistungen bestimmen den Ablauf des Versorgungsgeschehens sondern die MCO als Versicherungsträger (s. a. Kap. 18.02). Die wichtigsten Managed-Care-Strategien und -Instrumente für die kostengünstige und qualitätssichernde Steuerung der Patientenversorgung sind: z Geldgeber-Prinzip. z Disease Management – Critical Pathways. z Auswahl der Leistungserbringer – Credentialing. z Anreizorientierte Leistungsvergütung für die Leistungserbringer. MCO steuern den Markt 5 Strategien und Instrumente 9 z 01 04 Bewertung des US-amerikanischen Managed-Care-Konzepts Inhalt Suchen Treffer Hilfe Fünf kritische Punkte Sehen wir das Gesamtsystem der Managed-Care-Strategien und -Instrumente, dann lassen sich vor allem fünf kritische Punkte herausstellen: z Veränderung der Rolle des Arztes. z „Gag Rules“ zur Einschränkung der Patientenrechte und der Verantwortung des Arztes. z Verhältnis zwischen den Gatekeepern und den Spezialisten. z Überwachungs- und Kontrollbürokratie. z Risikoselektion. 9 z 01 | 04 Bewertung des US-amerikanischen Managed-Care-Konzepts Positiv: Kostenbewusstsein Die Vielfalt und die starke Differenzierung von Struktur und Gestaltung der MCO in den USA machen eine Gesamtbeurteilung ausgesprochen schwierig. Es lässt sich aber feststellen, dass Managed Care durchaus in der Lage ist, Ineffizienzen im Gesundheitssystem zu beseitigen, so Rationalisierungspotenziale zu erschließen und auf diese Weise Kostensenkung oder zumindest Kostenbegrenzung zu erzielen. Nicht nur in den USA, sondern auch in einigen europäischen Ländern hat Managed Care den Anstoß gegeben, auch auf der einzelbetrieblichen Ebene des Gesundheitssystems, in den Arztpraxen und Krankenhäusern, neben medizinischen Aspekten auch stärker ökonomische Aspekte zu berücksichtigen, die unterschiedlichen Versorgungssektoren zu integrieren und die Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen unter Aspekten von Qualität und Wirtschaftlichkeit zu steuern. Neben den positiven Auswirkungen auf das Kostenbewusstsein von Ärzten und Patienten bei der Erbringung und Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen hat Managed Care die Qualität der ärztlichen Tätigkeit beein- Positiv: Qualitätsbewusstsein 6 Bewertung des US-amerikanischen Managed-Care-Konzepts Inhalt Suchen Hilfe Treffer flusst: Die systematische Entwicklung von Instrumenten des Qualitätsmanagements hat das Qualitätsbewusstsein in den Praxen und den Krankenhäusern sehr gefördert. Der Hauptnachteil von Managed Care besteht darin, dass die MCO die Freiheit und das Selbstbestimmungsrecht erheblich einschränkten: z die angestellten oder unter Vertrag stehenden Ärzte in ihrer klinischen Autonomie (Entscheidungsfreiheit im Bereich von Diagnostik und Therapie) und z die Versicherten in ihrer freien Arztwahl. Dezember 2000 9 z 01 04 Hinzu kommt, dass viele Patienten infolge der oft langen Wartezeiten in den Arztpraxen oder Krankenhäusern nicht selten den Eindruck gewinnen, dass ihnen aus Gründen der Kostenbegrenzung als Voraussetzung für die Verbesserung der Wirtschaftlichkeit der MCO ärztliche, paramedizinische oder auch pflegerische Leistungen entweder nicht in ausreichendem Maße zur Verfügung gestellt oder sogar vorenthalten werden. Zumindest in den Anfängen von Managed Care glaubten Versicherte, dass bei einigen MCO eine verschärfte Kostensenkungspolitik dazu geführt hat, dass nicht unabdingbar notwendige Leistungen zu Lasten einer adäquaten Versorgungsqualität eingespart wurden. Auch dies sei angemerkt: Der im Laufe der Zeit aufgetretene verschärfte Wettbewerb zwischen den MCO hat dazu geführt, dass heute kostengünstige Versorgung und hohe Versorgungsqualität bei der Mehrzahl der MCO gleichrangige Ziele sind. Mit anderen Worten: Als Folge der (dem Managed-Care-Konzept immanenten) Konkurrenz der MCO werden niedrige Kosten und angemessene Leistungsqualität in Verbindung mit niedrigen Versicherungsprämien zu Wettbewerbsfaktoren. 7 Negativ: eingeschränkte Entscheidungsfreiheit Negativ: unzufriedene Patienten Positive Wirkung des Wettbewerbs 9 z 01 05 Strategien der Vernetzung der unterschiedlichen Leistungsanbieter Inhalt 9 z 01 | 05 Überleben kleiner Kliniken Eingliederung elitärer Kliniken Hohe Geschwindigkeit des Wandels Globalisierung Suchen Treffer Hilfe Strategien der horizontalen und vertikalen Vernetzung der unterschiedlichen Leistungsanbieter Horizontale Vernetzung von Krankenhäusern Der Zusammenschluss von Krankenhäusern kann das Leistungsspektrum mehrere kleiner Krankenhäuser bündeln und durch Diversifikation erweitern. Auf diese Weise bieten sie Schutz gegen Marktverdrängung und damit Absicherung der Existenz kleinerer Krankenhäuser. Der Effekt von Zusammenschlüssen von Krankenhäusern wird dann erweitert, wenn es sich um Großkrankenhäuser handelt, die in einem Gebiet mit Bettenüberangebot den Markt beherrschen wollen. Ergänzt werden können die Krankenhauszusammenschlüsse durch Einbeziehung von Krankenhäusern mit elitärem Anspruch an die Behandlung und an die Patienten. Ziel dieses Krankenhaustyps ist es, Hotelservice und Hotelatmosphäre mit herausragenden ärztlichen Leistungen zu kombinieren. In zunehmendem Maße bestimmen die ökonomisch dominierten Tendenzen der neuen Wirtschaft auch die Krankenhauslandschaft. Immer mehr Kliniken werden von Investoren und Investmentgesellschaften privatisiert. Krankenhausketten werden aufgebaut. In deren Zentrum stehen Computernetze, deren Wirkung weit über die digitale Welt hinausgeht. In der gesamten Marktwirtschaft nimmt das Tempo der Veränderung dramatisch zu – keine Branche, auch nicht die Krankenhauswirtschaft, kann mit dem erreichten Stand zufrieden sein und sich dann „bequem zurücklehnen“. Darüber hinaus mehren sich die Anzeichen, dass die Globalisierungswelle auch vor den Krankenhäusern nicht halt macht, d. h. Krankenhausketten werden international erweitert und ausgebaut. Die Folge davon ist ein sukzessi8 Strategien der Vernetzung der unterschiedlichen Leistungsanbieter Dezember 2000 Inhalt Suchen 9 z 01 05 Hilfe Treffer ver Rückgang der öffentlichen und frei-gemeinnützigen Krankenhausträgerschaft zu Gunsten privater Krankenhausträger (s. allgemein dazu Kap. 18.02.02, speziell zur Radiologie Kap. 7.05.06). Angemerkt sei, dass im Zuge der Privatisierung der Krankenhauswirtschaft die Qualität und Patientenorientierung der Krankenhäuser nicht unbedingt wegen des zu erzielenden „shareholder value“ reduziert werden muss; dafür sorgt der Wettbewerbsdruck, dem Krankenhäuser und Ärzte künftig noch mehr als heute schon ausgesetzt sind. Dieser Wandel der Krankenhauslandschaft kommt ungleich schneller als zu Zeiten der industriellen Revolution, und er lässt sich auch nicht aufhalten. Die Verlockungen in Form hoher Rendite für Kapitalgeber und immer neuere, auf die Bedürfnisse des einzelnen Patienten zugeschnittene Leistungen des Krankenhauses im Bereich von Diagnostik, Therapie, Pflege und Versorgung sind einfach zu groß. Parallel dazu hat sich gezeigt, dass ein gemeinsamer Weg von Krankenhäusern und Industrie wirtschaftliche Vorteile bringen kann. Krankenhäuser stehen vor der Aufgabe, ihre laufenden Betriebskosten zu senken und gleichzeitig den fortschreitenden Substanzverlust bei Anlagen und Geräten aufzufangen. Zur Lösung der damit verbundenen Finanzierungsfragen bietet sich die medizintechnische Industrie als Partner an. Ein aktueller Lösungsansatz ist die Gründung von Betriebsgesellschaften mit dem Ziel, als Dienstleistung medizinische und nichtmedizinische Leistungen für das Krankenhaus zu erbringen. Private Partnerschaft zwischen Industrie sowie öffentlichen und frei-gemeinnützigen Krankenhäusern ist heute keine Seltenheit mehr; sie ist dazu angetan, die 9 „Shareholder value“ Unaufhaltsamer Wandel Partnerschaft zwischen Medizinindustrie und Krankenhäusern 9 z 01 05 Strategien der Vernetzung der unterschiedlichen Leistungsanbieter Inhalt Suchen Treffer Hilfe Überlebenschancen einzelner Krankenhäuser und Krankenhausketten im Markt zu vergrößern. Definition „Regionales Praxisnetz“ Baukastensystem Stärkung der Marktmacht Rolle der Krankenhäuser Lebensqualität auch für den Arzt Horizontale Vernetzung von Arztpraxen zu Praxisnetzen Übersicht über Ziele, Instrumente und ökonomische Anreize neuer Versorgungsstrukturen im Bereich der ambulanten Versorgung Ein regionales Praxisnetz ist ein „mentales Ärztehaus“, das sich durch mehr Kooperation, Kollegialität und Kostenteilung auszeichnet. Es ist damit ein von den Arztpraxen getragenes lokales Gesundheitsunternehmen. Das Netz bietet den Patienten und damit den Krankenkassen mehr Leistungen unter der Voraussetzung einer entsprechenden Honorierung. Die regionalen Praxisnetze orientieren sich an einem Baukastensystem und erlauben damit die Anpassung an die jeweiligen Bedürfnisse der Praxen, der Patienten und der Region. Bei der Netzstrukturierung geht es nicht primär um eine DV-Vernetzung, sondern um eine mentale Vernetzung in den Köpfen der teilnehmenden Praxisärzte. Die Netze sollen die Marktmacht der Ärzte stärken mit dem Ziel, dass kein anderer Leistungsanbieter im Umkreis an einem Ärztenetz vorbeikommt. Obwohl ein Ziel die Vermeidung unnötiger Krankenhausaufenthalte ist, wird immer wieder behauptet, dass die Netze nicht gegen die Krankenhäuser gerichtet sind. Sie sollen vielmehr ein Modell sein, in dem eine bessere Kooperation zwischen der ambulanten und der stationären Versorgung angestrebt wird, leider bisher mit wenig Erfolg. Nicht zu unterschätzen ist dabei aber auch, dass der einzelne Praxisarzt ein gesichertes Einkommen erzielt und damit mehr Lebensqualität gewinnt, d. h. langfristig wieder mehr Freizeit und Zeit für die Familie. 10 Strategien der Vernetzung der unterschiedlichen Leistungsanbieter Dezember 2000 Inhalt Suchen 9 z 01 05 Hilfe Treffer Die KBV hat ein Register angelegt, das einen Überblick über den Entwicklungsstand neuer Versorgungsformen in der Bundesrepublik gibt. Auch wenn diese Übersicht keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt, werden doch detaillierte Informationen über den Großteil der in Deutschland laufenden Projekte mit ihren unterschiedlichen Möglichkeiten und Ausprägungen geliefert. Dabei haben sich inhaltlich sechs Kategorien herausgebildet: z Vermeidung von Krankenhauseinweisungen. z „Praxisnetze“ auf vertraglicher Grundlage. z Strukturverträge/Modellversuche „Ambulantes Operieren“. z Indikationsspezifische Modellversuche/Strukturverträge. z Vereinbarungen über eine rationale und rationelle Arzneimittelversorgung. z Praxisnetze ohne vertragliche Grundlage (bottom-up). Kategorisierung Ein Ziel der Praxisnetze ist die Vermeidung von Krankenhauseinweisungen. Die Reduktion der Einweisungen führt dazu, dass die Kliniken i. d. R. die Praxisnetze als krankenhausfeindlich ansehen. Dabei ist der finanzielle Erfolg der Praxisnetze relativ gering, tendiert oft sogar gegen Null. Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass man bei der Konstruktion von Praxisnetzen zu kurz entschlossen gehandelt und zu oberflächlich diskutiert hat. Das wiederum hat zur Folge, dass die Potenziale aus der Vernetzung bislang nicht ausgenutzt wurden. Das größte Einsparungspotenzial liegt bei den Arzthonoraren. Angemerkt sei, dass es auch Praxisnetze gibt, die gut funktionieren und sowohl im Hinblick auf medizinische Qualität als auch auf ökonomische Effizienz erfolgreich Kein finanzieller Erfolg 11 Potenziale nicht genutzt „Bottom-up“ erfolgversprechend 9 z 01 05 Strategien der Vernetzung der unterschiedlichen Leistungsanbieter Inhalt Suchen Treffer Hilfe sind. In der Regel handelt es sich dabei um Praxisnetze, die bottom-up konstruiert sind, d. h. die Initiative geht von innovationsfreudigen Praxen aus. Hausarztmodell Zweifel am Modell Hausarztmodell In der anstehenden Gesundheitsreform soll die Stellung der Hausärzte gestärkt werden. z Hausärzte sollen künftig einen eigenen Honorartopf bekommen in einer eigenständigen Vergütungsform. Ziel dieser Maßnahme ist, den Rückgang der Zahl der Hausärzte und die Fokussierung des Gesundheitssystems auf die Fachärzte zu stoppen. z Der Versicherte soll freiwillig an diesem Hausarzt-System teilnehmen können. Die Freiwilligkeit soll ihm mit einer Bonusregelung „versüßt“ werden. z Ziel ist es, den Hausarzt zum Motor der anstehenden Integration der verschiedenen Versorgungssektoren zu machen. Die Wirkung des in dieser Form vorgesehenen Hausarztmodells ist zumindest fraglich. Insbesondere fehlt jegliche Konkretisierung der Steuerungsbefugnisse des Hausarztes im Netzwerksystem, sowohl im Hinblick auf die Gatekeeper-Funktion als auch auf das Fallmanagement. Auch muss man zum einen die Qualifikation der Hausärzte anzweifeln. Zum anderen dürften insbesondere die Internisten, aber auch anderer Fachgruppen, auf die Übernahme der Gatekeeper-Funktion beanspruchen (s. a. Kap. 16.01.03 und Kap. 18.02.05). 12 Strategien der Vernetzung der unterschiedlichen Leistungsanbieter Inhalt Suchen 9 z 01 05 Hilfe Treffer Dezember 2000 Sektorübergreifende Vernetzung von Medizinbetrieben mit Integrationsversorgung Integriertes Dienstleistungszentrum (Gesundheitszentrum) Ziel der Weiterentwicklung des Krankenhauses zum Integrierten Dienstleistungszentrum (Gesundheitszentrum) ist es, durch eine Ergänzung des Krankenhaus-Leistungsangebotes frühzeitig und grundlegend dauerhafte Beziehungen zu den „Kunden“ aufzubauen und zu vertiefen. Zu diesem Kreis gehören die im Krankenhaus bereits versorgten Patienten, die Bevölkerung als die potenziellen Patienten, die einweisenden Fachärzten, die Einrichtungen der ambulanten, der stationären und der pflegerischen Versorgung, der Altenversorgung sowie die Krankenkassen. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft sieht in dem Integrierten Dienstleistungszentrum den Schlüssel zur Lösung der Schnittstellenproblematik ambulant/stationär. Managementziel ist die dauerhafte Absicherung der Existenz des Krankenhauses im regionalen Gesundheitsmarkt. Instrumenteller Ansatz dazu ist die Entwicklung des Krankenhauses zum Integrierten Dienstleistungszentrum. Aktionsparameter sind: — Leistungsarten/Leistungsspektrum, — Leistungsqualität, — Kosten. Zur Differenzierung der Leistungsarten und des Leistungsspektrum zählen im Einzelnen: z Intensivierung der ambulanten Versorgung (ambulantes Operieren, indikationsbezogene ambulante Behandlung, ambulante fachärztliche Behandlung nach Überweisung, Belegarztsystem, Kurzzeitversorgung usw.) 13 Aufbau einer Beziehung zu den Kunden Aktionsparameter 9 z 01 05 Strategien der Vernetzung der unterschiedlichen Leistungsanbieter Inhalt Suchen z z Das Management Gesundheitsreform 2000 Treffer Hilfe Beziehungsmanagement im Pre- und After-Sales-Bereich: Diagnostikzentrum sowie vor- und nachstationäre Behandlung, Kurzzeitpflege, Tagesklinik, Nachsorge/Rehabilitation/Stationäre Pflege, Altenpflege, Seniorenbetreuung/Essen auf Rädern, Beratungszentrum, Kurse (z. B. gesunde Lebensführung, Säuglingspflege, Konflikt- und Stressmanagement), Kontakt und Informationsaustausch mit einweisenden Ärzten, Krankenkassen, Selbsthilfegruppen, Parteien, Medien usw. Serviceleistungen im Bereich Hotelversorgung: Tagesund andere Zeitungen/Fernsehzeitungen, Wunschverpflegung, Besucherempfangszimmer, Konferenzraum (PC/Laptop), Restaurant und Ladenstraße (auch nach außen geöffnet) usw. Management im integrierten Dienstleistungszentrum heißt: Stärkung der Wettbewerbsposition im regionalen Krankenhausmarkt durch zusätzliche Leistungen im Preund After-Sales-Bereich (Beziehungsmanagement); bessere Leistungsqualität und Wirtschaftlichkeit (geringere Kosten). Dazu muss das Management im Integrierten Dienstleistungszentrum auf die vier Zielgrößen „Leistung“, „Qualität“, „Kosten“ und „Zeit“, und zwar auf der strategischen operativen Ebene, fokussiert werden. Integrationsversorgung Der Hauptansatzpunkt, um die negativen Konsequenzen der sektoralen Versäulung unserer Gesundheitswirtschaft zu überwinden, ist die sog. Integrationsversorgung (s. Kap. 18.02.06). Nach § 140 a SGBV des GKV-Gesundheitsreformgesetzes 2000 sollen integrierte Versorgungsmöglichkeiten eine die verschiedenen Leistungssektoren über14 Strategien der Vernetzung der unterschiedlichen Leistungsanbieter Dezember 2000 Inhalt Suchen 9 z 01 05 Hilfe Treffer greifende Versorgung der Patienten gewährleisten. Einzelheiten dazu sind in §§ 140 b bis 140 h geregelt. Den Partnern wird dabei eine recht weitgehende Vertragsfreiheit eingeräumt. Damit wurde eine weitere Grundlage neben den Modellvorhaben nach § 63 ff. SGBV und den Strukturverträgen nach § 73 a SGBV geschaffen, integrierte Versorgungsformen zu etablieren und damit die Steuerungsverantwortung der einzelnen Krankenkassen zu stärken. Die Teilnahme der Versicherten an der integrierten Versorgung soll freiwillig sein. Integrationsverträge können geschlossen werden zwischen Krankenkassen und z Gemeinschaften zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassener Ärzte und Zahnärzte sowie einzelner sonstiger Leistungserbringer und deren Gemeinschaft, z Kassenärztlichen Vereinigungen, z Trägern zugelassener Krankenhäuser, Trägern stationärer Vorsorge- und Reha-Einrichtungen, Trägern ambulanter Reha-Einrichtungen, z Gemeinschaften der vorgenannten Leistungserbringer. Analysiert man die gesetzliche Regelungen hinsichtlich ihrer Impulsstärke, so ist davon auszugehen, dass nur selten Integrationsverträge nach § 140 SGBV zustande kommen werden. Krankenkassen, Leistungserbringer und Patienten werden sich an einem Konzept nur dann beteiligen, wenn monetäre Vorteile zu erwarten sind. Da aber auch die Regelungen des § 140 a SGBV dem Grundsatz der Beitragssatzstabilität unterliegen, sind kaum Einsparungen zu erwarten, entsprechend wird der Motivationseffekt relativ gering sein. Diesen Einsparungen steht ein zusätzlicher Aufwand der Leistungserbringer gegenüber: Definition von Behandlungsleitlinien, Einführung qualitätssichernder Maß15 Vertragspartner Nur schwache Impulse durch Anreize Aufwand 9 z 01 05 Strategien der Vernetzung der unterschiedlichen Leistungsanbieter Inhalt Nur zwei Auswege Monetäre Anreize Einkaufsmodelle Suchen Treffer Hilfe nahmen, Koordination aller Partner, gesonderte Abrechnungen neben dem Praxisbudget, Vergütung aller Leistungen des Patienten aus der Pauschale (auch an Leistungserbringer außerhalb des Systems). Es ist abermals zu vermuten, dass Verträge zur integrierten Versorgung zukünftig nur selten abgeschlossen werden. Einzig und allein ein Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Leistungsanbietern bzw. Krankenkassen sowie die Gefährdung der Marktposition einzelner Leistungserbringer bzw. Krankenkassen kann daher Anreiz sein, integrierte Versorgungskonzepte zu vereinbaren und umzusetzen. Dies trifft im übrigen eher zu auf Anbieter in Ballungsgebieten als auf solche in ländlichen Regionen. Will die Politik künftig Impulse anhand gesetzlicher Regelungen zur integrativen Versorgung setzen, so gibt es nur zwei Wege: z Schaffung monetärer Anreize, um – auf freiwilliger Basis – die Initiative der Leistungserbringer auszulösen. z Schaffung gesetzlicher Regelungen zur Einführung von Einkaufsmodellen. Die Konzeption und Einführung von Gesundheitsnetzen auf der Basis von Freiwilligkeit und ohne entsprechende Anreize sind nicht zu erwarten. 16 Voraussetzungen für die Effizienz der Integrationsversorgung Inhalt Suchen Hilfe Treffer Voraussetzungen für die medizinische Effektivität und Qualität sowie die ökonomische Effizienz der Integrationsversorgung in Form von Gesundheitsnetzen Dezember 2000 9 z 01 06 z Sektorübergreifende Konzeption: Hausarzt – Facharzt – Krankenhaus – Rehabilitation – stationäre und ambulante Pflege. z Ein Gesamtbudget (Globalbudget für das Gesamtnetz): Das Globalbudget wird jährlich mit der Krankenkasse (einer oder auch mehreren) ausgehandelt. Offen ist in diesem Zusammenhang die Position der Kassenärztlichen Vereinigung. z Zusammenfassende Information über Leistung und Kosten aller Netzmitglieder sowie des Gesamtnetzes: Voraussetzung dafür ist die totale EDV-Vernetzung sowie die Nutzung moderner Kommunikationsmittel (z. B. E-Mail). z Gemeinsam aufgestellte Behandlungsleitlinien (Disease Management), unterstützt durch ein patientenbezogenes Fallmanagement (Information der Patienten, ggf. auch durch die Krankenkassen), beides unter Berücksichtigung der im Globalbudget zur Verfügung gestellten Finanzmittel. z Abstimmung des Leistungsspektrums der Netzteilnehmer: Regel für Über- und Rückweisung. z Periodische Information der Netzteilnehmer über erzielte Qualität, insbesondere Ergebnisqualität über die erzielten Einnahmen sowie über die Kosten, sowohl für das Gesamtnetz als auch für jeden Netzteilnehmer. z Qualitätszirkel mit der Verpflichtung für alle Netzteilnehmer zur Fort- und Weiterbildung. z Kontinuierliche informelle Kommunikation der Netzteilnehmer untereinander. z Gegebenenfalls Einholung von Zweitmeinungen bei aufwendigen Leistungen. 17 9 z 01 | 06 9 z 01 06 Voraussetzungen für die Effizienz der Integrationsversorgung Inhalt Suchen z Treffer Hilfe Absicherung einer nach Stunden und Tagen durchgehenden Ansprechmöglichkeit für die Patienten. z Periodische Patientenbefragung. z Einrichten einer Leitstelle in Form einer Managementzentrale mit folgenden Aufgaben: Zentrale Datenverwaltung für alle Patienten und Krankenkassen; Information der Netzteilnehmer über Kosten und Abrechnungsdaten; professionelle Verhandlungen mit den Krankenkassen; Etablierung neuer Kommunikationstechniken; gemeinsamer Einkauf für bestimmte Güter; Organisation des Qualitätsmanagements (Disease und Fallmanagement) sowie des Risikomanagements; Qualitätskontrolle mit der Möglichkeit, den einzelnen Netzteilnehmern Auflagen zu geben und deren Einhaltung zu überwachen. z Gatekeeper-Funktion: i. d. R. der Primärarzt oder ggf. Hausarzt, Gynäkologe, Pädiater; Direktinanspruchnahme von Fachärzten ist für den Patienten mit einer Prämienerhöhung verbunden; falls ja: es besteht ggf. Einschreibepflicht. z Variables Vergütungssystem: Patientenpauschale – behandelte oder eingeschriebene Patienten; Leistungskomplexhonorare; Einzelleistungsvergütung. z Vorkehrung zur Verhinderung von Risikoselektion. z Finanzielles Risiko liegt bei der Managementgesellschaft – Erfolgs- und Verlustbeteiligung des einzelnen Netzmitgliedes ist unabdingbare Voraussetzung für die Motivation zur Erreichung der Netzziele. z Wettbewerb mit anderen Netzen in der Region: Keine Monopolposition, sondern Qualitäts- und Preiskonkurrenz mit anderen Netzen als Voraussetzung sowohl für die Wahrung der Versorgungsqualität als auch für die Verhinderung der Risikoselektion. 18 Thesen für den Einsatz von Managed-Care-Strategien Inhalt Suchen Hilfe Treffer 9 z 01 | 07 Thesen für den Einsatz von Managed-Care-Strategien im bundesdeutschen Gesundheitssystem Dezember 2000 9 z 01 07 Alle diese krankenhausseitigen Vernetzungsbemühungen tendieren in die Richtung der Entwicklung des Krankenhauses zum Gesundheitszentrum. Unbeschadet der vielen, zum Teil effektiven, leider aber meist unsystematischen Vernetzungsansätze im Bereich der ambulanten und stationären Versorgung lassen sich die in unserem Gesundheitssystem vorhandenen Wirtschaftlichkeitsreserven jedoch nur dann erschließen, wenn es gelingt, die nach wie vor aufrechterhaltenen Barrieren zwischen der ambulanten und stationären Versorgung zu überwinden. Dies betrifft insbesondere die sektorale Budgetierung, also die finanzielle Abschottung beider Bereiche. Diese führt nicht selten dazu, dass sich ein Bereich durch medizinisch nicht begründete Überweisungen von kostenintensiven Patienten in den anderen Bereich finanziell entlastet. Erfolgreiche Ansatzpunkte für eine derartige Budgetvernetzung sind die Vereinbarungen einzelner Krankenkassen mit bestimmten Gruppen von Leistungserbringern über die Totalversorgung von Patienten mit speziellen Erkrankungen (z. B. Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Atemwegserkrankungen), aber auch die Komplex-Fallpauschalen für die Krankenhaus- und Rehabilitationsbehandlung bei Hüft- und Kniegelenkoperationen. Auf diese Weise übernehmen die Leistungsanbieter nicht nur die Versorgung der Patienten, sondern gleichzeitig auch die ökonomische Verantwortung für die von ihnen erbrachten Leistungen. 19 Zahlreiche Barrieren Ökonomische Verantwortung 9 z 01 07 Thesen für den Einsatz von Managed-Care-Strategien Inhalt Leistungsbündel Suchen Treffer Hilfe Erwähnt seien weiterhin die Bemühungen seitens der Krankenkassen, bei einzelnen Anbietern bestimmte Leistungsgruppen oder Leistungsbündel „einzukaufen“. Dies hat für die Leistungsanbieter i. d. R. den Nachteil, dass sie Preisnachlässe gewähren müssen, auf der anderen Seite aber auch den Vorteil, dass die Krankenkassen ihre Versicherten veranlassen, die Vertragsleistungsanbieter aufzusuchen und diesen damit eine bestimmte Auslastung ihrer Behandlungskapazitäten garantieren. z Vor dem Hintergrund der strukturellen Schwachstellen unserer Gesundheitssystems, insbesondere der aus der vertikalen Versäulung der Gesundheitssektoren entstehenden Schnittstellenproblematik an den Grenzen der Versorgungssektoren, ferner unter Berücksichtigung der bereits laufenden oder geplanten dargestellten Modellversuche zum Einsatz der Managed-Care-Strategien lassen sich für die Möglichkeiten und Grenzen des Einsatzes von Managed-Care-Strategien im bundesdeutschen Gesundheitssystem folgende Thesen aufstellen. Politikversagen These 1: Strukturelle Hemmnisse Sieht man den Problemstau und den sich daraus ergebenden Reformbedarf im Bereich der Wirtschafts-, Steuer-, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik, so ist in absehbarer Zeit nicht damit zu rechnen, dass seitens der Politik die strukturellen Mängel unseres Gesundheitssystems behoben werden. Dies bedeutet, dass alle Überlegungen, die im Gesundheitssystem bestehenden Wirtschaftlichkeitsreserven durch Einsatz von Managed-Care-Strategien offenzulegen und auszuschöpfen, zumindest mittelfristig weitgehend vom Status quo der Struktur, Organisation und Finanzierung unseres Gesundheitssystems ausgehen 20 Thesen für den Einsatz von Managed-Care-Strategien Inhalt Suchen 9 z 01 07 Hilfe Treffer Dezember 2000 müssen. Hinzu kommt, dass der Leidensdruck, die strukturellen Schwachstellen unseres Gesundheitssystems zu beseitigen, noch nicht groß genug ist, um Macht und Einfluss der sektoralen Lobbyisten zu brechen. These 2: Zielvorstellungen Ziel des Einsatzes von Managed-Care-Strategien muss es sein, die finanziellen Aufwendungen der GKV vor allem durch Abbau von Reibungsverlusten an den sektoralen Schnittstellen zu beseitigen und damit Rationalisierungspotenziale sektoral übergreifend zu erschließen. Das heißt im einzelnen: z Punktuelle Aufweichung der vertikalen Versäulung der Gesundheitssektoren, z Begrenzung der Zahl der Krankenhausbehandlungen sowie der Verweildauer der Patienten im Krankenhaus auf das medizinisch notwendige Maß, z Vermeidung unnötiger Inanspruchnahme von diagnostischen und therapeutischen Leistungen im Gesamtbereich der gesundheitlichen Versorgung, z Intensivierung und Professionalisierung der Qualitätssicherung im Rahmen eines die Erfolgsfaktoren ,Qualität‘, ,Kosten‘ und ,Zeit‘ integrierenden Krankenhausmanagements, z Verstärkung von Gesundheitserziehung, Prävention, psychosozialer Betreuung und Rehabilitation bei gleichzeitiger Begrenzung der ambulanten und stationären Akutversorgung auf das medizinisch angemessene Maß. These 3: Wettbewerb als Voraussetzung Wichtigste Voraussetzung der kostentreibenden, sektoral bezogenen Verhaltensmuster der Leistungsanbieter und 21 Rationalisierungspotenziale erschließen 9 z 01 07 Thesen für den Einsatz von Managed-Care-Strategien Inhalt Schaffung und Stärkung des Wettbewerbs Projekte nach SGB V Systematische Förderung bestehender Modelle Suchen Treffer Hilfe der Krankenkassen hinsichtlich Vermeidung unnötiger Kosten und Leistungen bei gleichzeitiger Einhaltung eines vorgegebenen Qualitätspotenzials ist die Schaffung oder Stärkung von Wettbewerb, verbunden mit finanziellen Anreizen. Dies erfordert einen regionalisierten Wettbewerb zwischen den einzelnen Leistungsanbietern und den Krankenkassen, gleichermaßen aber auch einen Wettbewerb zwischen den Leistungsanbietern im ambulanten und stationären Versorgungssektor. These 4: Freiwillige Modellversuche Da weder kurz- noch mittelfristig mit einer Reform von Struktur, Organisation und Finanzierung unseres Gesundheitssystems seitens der Politik zu rechnen ist, sollte von den Möglichkeiten der §§ 63 ff., 73 a SGBV Gebrauch gemacht werden, anhand der Modellprojekte erfolgversprechende Managed-Care-Strategien zu entwickeln und zu erproben. Dabei sollte in der Modell- und der Erprobungsphase das Prinzip der Freiwilligkeit bei den Leistungsanbieter, den Krankenkassen und den Patienten unter allen Umständen beachtet werden. These 5: Institutionelle Vernetzung Sieht man die Machtbalance zwischen Leistungsanbietern und Krankenkassen, dann empfiehlt sich, die bereits begonnene freiwillige institutionelle Vernetzung seitens der Leistungsanbieter unter Einbeziehung der Krankenkassen in Form von Versorgungsnetzen weiterhin modellhaft zu erproben. Dabei wäre jedoch dringend zu empfehlen, die Gestaltung des Netzwerkmanagements nicht dem Zufall zu überlassen, sondern die verschiedenen Möglichkeiten der Netzwerkorganisation und -finanzierung zu systematisieren und ihre Effektivität und Effizienz im Hinblick 22 Thesen für den Einsatz von Managed-Care-Strategien Dezember 2000 Inhalt Suchen 9 z 01 07 Hilfe Treffer auf die Erfolgsfaktoren ,Qualität‘, ,Kosten‘ und ,Zeit‘ in Konkurrenz zueinander modellhaft zu erproben. In diesem Zusammenhang sind im Bereich der ambulanten Versorgung bereits bestehende oder noch zu implementierende Netzwerke dahingehend zu ergänzen, dass die primäre Zielsetzung „Reduzierung der Zahl der Krankenhauseinweisungen bei gleichzeitiger Begrenzung der Verweildauer“ auf dem Wege der verschiedenen Möglichkeiten der Kooperation mit den Krankenhäusern im Einzugsbereich der Versorgungsnetze erweitert werden. Auf diese Weise könnten medizinisch nicht notwendige Leistungswiederholungen im Krankenhaus vermieden werden und stattdessen die diagnostischen Maßnahmen im Krankenhaus weiter qualifiziert, die Patienten entlastet und die Versorgungsqualität verbessert werden. Eine Möglichkeit wäre z. B. darin zu sehen, dass die am Versorgungsnetz beteiligten Arztpraxen mit einzelnen Krankenhäusern sowohl Versorgungs- als auch Finanzierungskonzepte vereinbaren und diese dann bei der Einweisung ihrer Patienten zur stationären Behandlung bevorzugen. Parallel dazu müssen Konzepte entwickelt werden, die nicht nur die im Versorgungsnetz zusammengeschlossenen Arztpraxen bei einer entsprechenden Reduzierung des stationären Aufwandes finanziell zu belohnen, sondern auch den von ihnen „bevorzugten“ Krankenhäusern in irgendeiner Form einen finanziellen Anreiz für ihre Verhaltensänderung zu gewähren. These 6: Prozessuale Vernetzung Der wichtigste Ansatzpunkt zur Aufweichung der sektoralen Versäulung des Gesundheitssystems sind prozessual vernetzte Versorgungskonzepte für ausgewählte Erkrankungen und Therapien (z. B. Schlaganfall, Diabetes, onko23 Reduzierung der Krankenhausaufenthalte Versorgungskonzepte für ausgewählte Erkrankungen 9 z 01 07 Thesen für den Einsatz von Managed-Care-Strategien Inhalt Suchen Treffer Hilfe logische Versorgung, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Asthma). Voraussetzung dafür sind die Entwicklung eines medizinisch und pflegerisch abgestimmten adäquaten Versorgungskonzepts, ein konzeptbezogenes Finanzbudget sowie die Institutionalisierung eines prozessbezogenen Managementkonzepts, das gleichzeitig auch die medizinische, pflegerische, organisatorische und finanzielle Verantwortung für Ablauf und Ergebnis der Versorgung regelt. Gatekeeper Ärztliche und pflegerische Versorgung These 7: Stärkung der Position des Hausarztes Ausgehend von den Erfahrungen in den USA, vor allen Dingen aber auch in den Niederlanden, sollte modellhaft erprobt werden, die Position des Hausarztes zu stärken und ihm zur Gänze oder teilweise die Patientensteuerung innerhalb des Versorgungsnetzes zu übertragen. Trotz der zu erwartenden Widerstände sollten Hausarztmodelle (Hausarzt als „Gatekeeper“) erprobt werden, allerdings unter der Voraussetzung einer entsprechenden Qualifikation des Hausarztes. Ein guter Ansatzpunkt dazu wäre, bei Netzwerken in Form von Qualitätsgemeinschaften die Hausärzte stärker in das Netzwerkmanagement sowie in das Qualitätssicherungs- und Qualitätsverbesserungsmanagement einzubeziehen. These 8: Personelle Vernetzung Eine weitere Möglichkeit zur Lösung der Schnittstellenproblematik zwischen der ambulanten und stationären Versorgung besteht in der personellen Vernetzung im Bereich der ärztlichen und pflegerischen Versorgung. Das bedeutet vor allem Ermächtigung von Krankenhausärzten für Spezialbehandlungen, Ausbau von Institutsambulanzen, Belegarztsystem, Praxiskliniken, Management der 24 Thesen für den Einsatz von Managed-Care-Strategien Inhalt Suchen 9 z 01 07 Hilfe Treffer Dezember 2000 nachstationären hauspflegerischen Versorgung seitens des Krankenhauses, sektorübergreifende und langzeitbezogene outcome-orientierte Qualitätsmessung. These 9: Capitation-Finanzierung Ein erfolgversprechender Ansatzpunkt, patientenbelastende weil medizinisch nicht notwendige Leistungen bei der sektoralen oder auch sektorübergreifenden Behandlung von Patienten zu vermeiden, ist die Capitation-Finanzierung, entweder in Form von indikationsbezogenen Fallpauschalen oder von patientenbezogenen Totalpauschalen. Die Capitation-Finanzierung ermöglicht eine gezielte Steuerung der Versorgung der Patienten durch das Versorgungssystem auf dem Wege einer indikationsbezogenen Patientenführung und der Leistungskontrolle unter Beachtung der Prinzipien von Kostenbegrenzung und Qualitätssicherung. Dabei sollte sowohl von seiten der Leistungserbringer, aber auch von seiten der Krankenkassen der Langzeitqualität des Versorgungssystems oberste Priorität eingeräumt werden. These 10: Ausbau und Verstärkung der regionalen und/ oder institutionsbezogenen Verhandlungsmöglichkeiten zwischen Leistungsanbietern und Krankenkassen Will man eine weitere staatliche Reglementierung von Organisation und Finanzierung unseres Gesundheitssystems vermeiden und stattdessen die marktwirtschaftlichen Steuerungselemente stärken, dann muss auch darüber nachgedacht werden, die „Flächentarifverträge“ zwischen Krankenhäusern und Leistungsanbietern aufzulockern. Das würde bedeuten, dass die Krankenkassen entweder regional oder aber auch medizinbetrieb-bezogen mit den 25 Fall- oder Totalpauschalen Aufbrechen der „Flächentarifverträge“ 9 z 01 07 Thesen für den Einsatz von Managed-Care-Strategien Inhalt Erprobung auch gegen Widerstände Integratives Qualitätsmanagement Suchen Treffer Hilfe Leistungsanbietern über spezifische Versorgungskonzepte, Leistungsangebote und Entgeltformen verhandeln. Unbeschadet der von den Leistungsanbietern sowohl im ambulanten als auch im stationären Bereich zu erwartenden Widerstände sollten in Modellversuchen die Möglichkeiten und Grenzen einer Aufweichung des „Flächentarifsystems“ modellhaft erprobt werden. These 11: Intensivierung und Professionalisierung des Qualitätsmanagements Unabdingbare Voraussetzung für die Erprobung und Einführung von Managed-Care-Ansätzen mit dem Ziel der Ausschöpfung von Wirtschaftlichkeitsreserven sind Ausbau und Institutionalisierung eines integrativen Qualitätsmanagements in den Arztpraxen und Krankenhäusern. Dazu muss neben der medizinischen und pflegerischen Produktqualität auch die Interaktionsqualität des Versorgungsprozesses erfasst und die Prozess- und Ergebnisqualität nicht nur expertenorientiert, sondern vor allem auch patientenorientiert beurteilt und gemessen werden. Gleichzeitig müssen Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass die Einhaltung eines vorgegebenen Qualitätsniveaus seitens der einzelnen Medizinbetriebe extern überprüft werden kann. Ferner müssen bei Nichteinhaltung entsprechende Sanktionsmaßnahmen getroffen werden können. In diesem Zusammenhang kommt der Entwicklung krankheitsarten- und/oder indikationsbezogener Leitlinien für die medizinische und pflegerische Versorgung besondere Bedeutung zu, allerdings unter der Voraussetzung, dass die darin enthaltenen Vorgaben realistisch und nicht rein akademisch definiert werden. 26 Thesen für den Einsatz von Managed-Care-Strategien Inhalt Suchen Hilfe Treffer These 12: Wahlmöglichkeiten für die versicherten Patienten bei alternativen Versorgungskonzepten Ausgehend von den Erfahrungen in den USA, aber auch in Europa (vor allem in der Schweiz), müssen die Krankenkassen ihren Versicherten die Wahlmöglichkeit lassen, ob sie sich unter der Voraussetzung einer entsprechenden Reduzierung der Versicherungsprämie im Rahmen eines Managed-Care-Netzes versorgen lassen oder aber wie bisher das Recht der freien Arztwahl für sich in Anspruch nehmen wollen. Beide Optionen sollten den Versicherten über entsprechend gestaffelte Beitragssätze seitens der Krankenkassen angeboten werden. Dezember 2000 9 z 01 07 These 13: Positionierung des Krankenhauses im Rahmen des Versorgungsnetzes Sieht man die Zielvorstellungen der modellhaft zu erprobenden Managed-Care-Strategien: — institutionelle, prozessuale oder personelle Vernetzung des Versorgungssystems, — Stärkung der Position des Hausarztes in seiner Gatekeeper-Funktion, — Intensivierung der gesundheitserzieherischen, präventiven, sozialpflegerischen, psychosozialen und rehabilitativen Versorgungsformen, — zielgerichtete Steuerung der Patienten durch das Versorgungssystem, dann bieten sich für die Positionierung des Krankenhauses in einem solchen Versorgungsnetz je nach Zielsetzung und Aufgabenstellung zukünftig folgende Alternativen: z Zentrum der Hochleistungsmedizin am Ende der Versorgungskette. 27 Managed Care oder Arztwahl Regelversorgung oder Hochleistungsmedizin 9 z 01 07 Thesen für den Einsatz von Managed-Care-Strategien Inhalt Suchen z Berücksichtigung nichtstationärer Aktivitäten Managed Care: Konzept der Steuerung. . . Treffer Hilfe Zentrum der integrierten stationären und ambulanten Regelversorgung mit verstärktem Ausbau des Belegarztsystems, auch in Form von Praxiskliniken oder in Kooperation mit Praxisnetzen. Voraussetzung für beide Alternativen ist, dass die Bedeutung des Krankenhauses vor allem die Position der leitenden Krankenhausärzte nicht mehr in der Zahl der Krankenbetten, sondern in Art und Umfang der Patientenversorgung und in der medizinischen und pflegerischen Kompetenz des Krankenhauses ihren Ausdruck findet. Weitere Voraussetzung ist eine enge Kooperation und Kommunikation mit allen vor- und nachgelagerten medizinischen und pflegerischen Einrichtungen der ambulanten Patientenversorgung. Eine dritte Positionierung ist in dem Weg des Krankenhauses zum Gesundheitszentrum zu sehen mit dem Ziel, möglichst viele, auch nichtstationäre Versorgungsaktivitäten aus dem Bereich der medizinischen und pflegerischen ambulanten Versorgung sowie der Rehabilitation entweder nur organisatorisch oder aber auch institutionell mit der stationären Kernkompetenz des Krankenhauses zu verbinden. These 14: Managed-Care-Strategien als Steuerungsund nicht als Machtinstrument Akzeptanz und Erfolg der sektoralen oder auch übersektoralen Vernetzung der Versorgungseinrichtungen des Gesundheitssystems ebenso wie der Positionierung der Krankenhäuser in den Versorgungsnetzen hängen davon ab, dass man Managed Care als ein Konzept für Steuerung, Organisation und Finanzierung des Gesundheitssystems versteht. Mit diesem Konzept sollen die Patienten 28 Thesen für den Einsatz von Managed-Care-Strategien Inhalt Suchen 9 z 01 07 Hilfe Treffer Dezember 2000 ihrem Persönlichkeits- und Krankheitsartenmuster entsprechend auf die adäquate Versorgungsebene (Allgemeinarzt, ambulante fachärztliche Versorgung, stationäre Versorgung, Rehabilitation, ambulante pflegerische Versorgung) gesteuert werden und dort mit den zur Erreichung des Behandlungsziels notwendigen Leistungen versorgt werden und zwar unter strengster Beachtung der Prinzipien von Versorgungsqualität und Wirtschaftlichkeit. Kontraproduktiv wäre es hingegen, Managed-CareStrategien als instrumentellen Ansatz dazu zu nutzen, Macht und Bedeutung der einzelnen Versorgungssektoren zu stärken und damit die negativen Einflüsse der gegenwärtigen sektoralen Versäulung der Gesundheitssektoren nicht nur zu erhalten, sondern noch zu verstärken. Weiter 29 . . . und nicht Instrument der Macht
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