Spastizität: Modified Ashworth Scale (MAS)

232
Körperfunktionen
Spastizität: Modified Ashworth Scale (MAS)
Testbeschreibung
Der Test erfasst den geschwindigkeitsabhängigen Widerstand gegen passive Bewegung, eines von vielen Merkmalen bei Patienten mit
einer Läsion des Zentralnervensystems. Eine
Läsion des Zentralnervensystems hat viele andere Merkmale, die hier nicht erfasst werden.
0
1
= Normal
= Leichter Widerstand am Ende oder Anfang (=“catch“), in 1 Richtung
1+ = Leichter Widerstand über <50% des
Bewegungsausmasses (range of motion
= ROM)
2 = Deutlicher Widerstand über >50% vom
ROM, volle ROM möglich
3 = Starker Widerstand, passive ROM erschwert
4 = Teilweise ROM eingeschränkt
ICF-Klassifikation
Körperfunktionen
b 735 Muskeltonus
b 750 Motorische Reflexe
Praktikabilität
Patientengruppe
Patienten mit Spastizität
Zeitaufwand
1 Minute
Kosten
keine
Aus: Schädler, Kool, Lüthi, Marks, Pfeffer, Oesch, Wirz: Assessments in der Neurorehabilitation.
© Verlag Hans Huber 2006. Alle Rechte vorbehalten.
Spastizität: Modified Ashworth Scale (MAS)
Ausbildung
½ Stunde, einmalige Instruktion, Differenzierung gegenüber Rigidität und Gegenhalten.
Praktische Durchführung
Bei der passiven Bewegung wird der geschwindigkeitsabhängige Widerstand beurteilt.
Format
Passive Bewegung
Skalierung
0-4
Subskalen
keine
Reliabilität (Zuverlässigkeit)
Ungenügend, insgesamt unterschiedliche Studienresultate. Ellbogen: Kendall's tau IntraClass Correlation 0.847 (p < .001, Bohannon et
al. 1987a) und in einer anderen Studie 0.567
(Blackburn et al. 2002). Übereinstimmung (Inter- und Intra-Beurteiler) für Ellbogen, Handgelenk und Knieflexoren ist gut bis sehr gut
(gewichteter Kappa 0.73-0.96). Für die Plantarflexoren mässig bis gut (0.45-0.64, Gregson
et al. 2000)
Es gibt eine Weiterentwicklung der MAS, wobei die Geschwindigkeit (V) standardisiert
wird, die so genannte V-MAS. Diese scheint
bei Paraplegikern eine gute Reliabilität zu haben (Smith et al. 2002).
Fosang et al. (2002) vergleichen bei Kindern
mit Zerebralparese die MAS mit einer, mir
nicht bekannten Modified Tardieu Scale (Tardieu et al. 1954 und 1959), die besser abschnitt
als die MAS.
233
Validität (Gültigkeit)
Die Kriterienvalidität wurde bestätigt, es besteht eine gute Korrelation mit dem ‚Pendulum-Test’, wobei das Gelenk von einer Maschine mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten bewegt wird und das Ausmass der geschwindigkeitsabhängigen Zunahme vom Widerstand (=Definition Spastizität) erfasst wird
(Katz et al. 1992).
Die Frage ist, bei welchen Patienten man die
MAS sinnvoll als Ergebnisparameter benützen
kann. Spastizität korreliert mit Schwäche der
gleichen Muskelgruppe, und nicht mit der
willkürlichen Kraft der Antagonisten (Bohannon et al. 1987b). Ein weiteres Phänomen, das
die Benützung der MAS als Ergebnisparameter
einschränkt ist, dass Spastizität kein lineares
Phänomen ist. Nach einer Hemiplegie kommt
es anfänglich parallel zu einer Zunahme der
Spastizität und Willküraktivität (positive Korrelation). Bei weiterer Erholung nehmen die
Willküraktivität und Koordination weiter zu,
währenddem die Spastizität abnimmt (negative
Korrelation). Da Spastizität kein lineares Phänomen ist, ist die Erfassung als Verlaufsparameter ungeeignet (Gowland et al. 1993, Twitchell 1954). Die Korrelation mit dem Auftreten
von einschiessenden Spasmen ist schlecht. Offenbar beruhen diese zwei Symptome auf unterschiedlichen Mechanismen (Bohannon et al.
1987a).
Responsivität (Empfindlichkeit)
Ungenügend.
Aus: Schädler, Kool, Lüthi, Marks, Pfeffer, Oesch, Wirz: Assessments in der Neurorehabilitation.
© Verlag Hans Huber 2006. Alle Rechte vorbehalten.
234
Körperfunktionen
Beurteilung
Diagnostik/Befund
empfohlen
Behandlungsplanung
teilweise empfohlen
Ergebnis/Verlauf
nicht empfohlen
Prognose
nicht empfohlen
die wechselnde Ausprägung im Laufe der Zeit
und in unterschiedlichen Muskelgruppen.
Die durchgeführten Studien untersuchten homogene Patientengruppen ohne Komorbidität.
Im klinischen Alltag treffen wir oft Patienten
die gleichzeitig auch Bewegungseinschränkungen und Rigidität aufweisen.
Bemerkungen
Literatur
Eine (Ab- oder) Zunahme der Spastizität kann
nicht eindeutig als (Fort- oder) Rückschritt bezeichnet werden. Die Interpretation einer veränderten Spastizität ist nur im individuellen
Kontext des jeweiligen Patienten möglich. In
der Vergangenheit wurde der Spastizität viel
grössere Bedeutung beigemessen, wobei
Spastizität zu oft als negativ betrachtet wurde.
Insbesondere knapp gehfähige Patienten verlieren jedoch ihre Gehfähigkeit, wenn die Spastizität gesenkt wird.
Man findet zwei verschiedene Skalierungen
der Modified Ashworth Scale. Beide bestehen
aus 6 Stufen. Im einen Fall sind sie 0, 1, 2, 3,
4, 5; im anderen 0, 1, 1+, 2, 3, 4. Die Definitionen der einzelnen Stufen entsprechen sich in
ihrer Steigerung (0 = 0, 1 = 1, 1+ = 2, 2 = 3, 3
= 4, 4 = 5).
Die Spastizität ist wegen der Nicht-Linearität
und der geringen Sensitivität ungeeignet als
Ergebnismessung. Meistens ist die Prüfung der
Aktivitäten oder der motorischen Kontrolle
(Chedoke Mc Master Stroke Assessment)
sinnvoller.
Die Korrelation zwischen Abnahme der
Spastizität und Verbesserung der Aktivität ist
gering.
Studien zur Entwicklung von Messungen der
Spastizität beschreiben als besondere Probleme
Literatursuche: PubMed, 04/2005
Ashburn A. Physical assessment for stroke patients.
Physiotherapy. 1982; 68 (4); 109-13.
Blackburn M, van Vliet P, Mockett SP. Reliability of
measurements obtained with the modified Ashworth
scale in the lower extremities of people with stroke.
Phys Ther. 2002 Jan;82(1):25-34.
Bohannon RW, Smith MB Interrater reliability of a modified Ashworth scale of muscle spasticity. Phys Ther.
1987a, 67 (2): 206-207.
Bohannon RW, Larkin P., Smith MB, Horton MG Relationship between static muscle strength deficits and
spasticity in stroke patients with hemiparesis. Phys
Ther. 1987b; 67 (7): 1068-71.
Fosang AL, Galea MP, McCoy AT, Reddihough DS. Story
I. Measures of muscle and joint performance in the
lower limb of children with cerebral palsy. Dev Med
Child Neurol. 2003 Oct;45(10):664-70.
Gowland C, Stratford P, Ward M, Moreland J, Torresin W,
Van Hullenaar S, Sanford J, Barreca S, Vanspall B,
Plews N. Measuring physical impairment and disability
with the Chedoke-McMaster Stroke Assessment.
Stroke. 1993 Jan;24(1):58-63.
Gregson JM, Leathley MJ, Moore AP, Smith TL, Sharma
AK, Watkins CL. Reliability of measurements of muscle tone and muscle power in stroke patients. Age Ageing. 2000 May;29(3):223-8.
Katz RT, Rovai GP, Brait C and Rymer WZ. Objective
quantification of spastic hypertonia: correlation with
clinical findings. Arch Phys Med Rehabil 1992; 73 (4):
339-47.
Priebe MM, Sherwood AM, Thornby JI, Kharas NF, Markowski J. Clinical assessment of spasticity in spinal
cord injury: a multidimensional problem. Arch Phys
Med Rehabil. 1996 Jul;77(7):713-6.
Aus: Schädler, Kool, Lüthi, Marks, Pfeffer, Oesch, Wirz: Assessments in der Neurorehabilitation.
© Verlag Hans Huber 2006. Alle Rechte vorbehalten.
Spastizität: Modified Ashworth Scale (MAS)
Smith AW, Jamshidi M, Lo SK. Clinical measurement of
muscle tone using a velocity-corrected modified
Ashworth scale. Am J Phys Med Rehabil. 2002
Mar;81(3):202-6.
Tardieu G, Shentoub S, Delarue R. A La Recherche díune
Technique de Mesurede la Spasticitè. Revue Neurologique. 1954; 91(2): 143-144.
235
Tardieu G, Rondot P, Dalloz JC, Mensch-Dechenne J,
Monfraix C. The Stretch Reflex in Man: A Study of
Electromyography and Dynamometry (Strain Gauge)
Contribution to Classification of the Various Types of
Hypertonus in C.P. Cerebral Palsy Bull. 1959; 7: 14-17.
Twitchell TE. The restoration of motor function following
hemiplegia in man. J Neurophysiol. 1954; 17: 239-52.
Aus: Schädler, Kool, Lüthi, Marks, Pfeffer, Oesch, Wirz: Assessments in der Neurorehabilitation.
© Verlag Hans Huber 2006. Alle Rechte vorbehalten.